

Zahl antisemitischer Vorfälle steigt erneut stark an und erreicht Höchststand
Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland hat einen Höchststand seit Beginn der Erfassung erreicht. Sie stieg im vergangenen Jahr massiv auf 8627 Fälle an, wie aus dem am Mittwoch vorgestellten Jahresbericht des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) hervorgeht. Das waren rund 77 Prozent mehr als im Vorjahr 2023, in dem bereits ein ähnlich starker Anstieg verzeichnet worden war.
"Nie zuvor wurden uns in einem Kalenderjahr mehr gegen Jüdinnen und Juden gerichtete Angriffe bekannt als im vergangenen Jahr", betonte Rias-Vorstand Benjamin Steinitz bei der Vorstellung der Berichts in Berlin. Rechnerisch ereigneten sich 2024 knapp 24 antisemitische Vorfälle pro Tag - im Vorjahr waren es 13 Fälle pro Tag.
Der 2018 gegründete Bundesverband dokumentiert seit 2020 bundesweit antisemitische Vorfälle. Einen ungebremsten Anstieg solcher Fälle hierzulande verzeichnet die Recherchestelle dabei seit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Steinitz bezeichnete diesen als "einen tiefen Einschnitt, eine Zäsur". Dieser verändere bis heute das Leben von Juden und Jüdinnen auf der ganzen Welt und auch hier in Deutschland.
"Mit dem anhaltenden Krieg in Gaza und dem unerträglichen Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung ist die Unterstützung für das Vorgehen der israelischen Regierung auch hierzulande erodiert", sagte Steinitz. Eine "traurige Konsequenz" sei: "Jüdinnen und Juden werden regelmäßig für das Agieren der israelischen Regierung in Haftung genommen."
Es sei "eine traurige Gewohnheit", jedes Jahr zu hören, wie stark die Zahl der antisemitischen Vorfälle wieder gestiegen sei, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. 2024 sei der Anstieg allerdings "besonders frappierend - Hass gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland hat sich auf einem beschämenden Niveau normalisiert". Die Bekämpfung von Antisemitismus müsse deshalb "noch fokussierter, intensiver und erfolgreicher" werden.
Einen "deutlichen Anstieg" verzeichnete Rias 2024 auch bei gewalttätigen antisemitischen Vorfällen. Die Stelle dokumentierte acht Fälle von "extremer Gewalt", 186 Angriffe und 300 Bedrohungen. Der allgemeine Anstieg gegenüber dem Vorjahr sei aber vor allem "in stark politisierten Kontexten" auszumachen: Antisemitismus habe sich 2024 insbesondere bei Versammlungen, in Form antisemitischer Aufkleber im öffentlichen Raum sowie an Hochschulen geäußert.
So registrierte Rias im vergangenen Jahr 450 antisemitische Vorfälle an Hochschulen - eine Verdreifachung von 151 Fällen 2023. "Viele meiner jüdischen Kommilitoninnen und Kommilitonen fühlen sich an den Universitäten nicht mehr sicher", sagte dazu der Präsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, Ron Dekel, bei der Vorstellung des Jahresberichts. Er forderte als Konsequenz Antisemitismusbeauftragte an allen Hochschulen hierzulande.
Bei den antisemitischen Vorfällen, die Rias eindeutig einem politisch-weltanschaulichen Hintergrund zuordnen konnte, war der "antiisraelische Aktivismus" mit 5857 Fällen die häufigste Kategorie. Mit 544 Vorfällen verzeichnete Rias 2024 zudem die bisher höchste Anzahl antisemitischer Vorfälle mit einem rechtsextremen Hintergrund.
Der Rias-Jahresbericht trägt die Erkenntnisse unterschiedlicher Meldestellen zusammen. Diese befinden sich in zivilgesellschaftlicher, universitärer oder kommunaler Trägerschaft und sind im Bundesverband Rias zusammengeschlossen. Er wird mit Haushaltsmitteln des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung gefördert.
"Mit großer Sorge beobachten wir die Entwicklung des wachsenden Antisemitismus in Deutschland", erklärte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) zum Bericht. Die Bundesregierung stelle sich Antisemitismus entschlossen entgegen.
Bildungs- und Familienministerin Karin Prien (CDU) nannte die Entwicklung "alarmierend". Sie betonte vor diesem Hintergrund die Bedeutung von Projekten ihres Hauses gegen Antisemitismus wie das Bundesprogramm "Demokratie leben!".
Rias lege "Zeugnis über einen Alltag ab, der für viele Jüdinnen und Juden zunehmend von Anfeindungen und Hass geprägt" ist, erklärte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Antisemitismus wie Rias müssten auch in Zukunft finanziell abgesichert werden, forderte er.
A.Sengupta--MT